Sonntag, 9. März 2014

Fahrkartenausgabegerät


Bahnhof Erdorf Freitag nachmittag, kurz vor halb vier. Der Zug Richtung Trier geht um 15:41, ich muss noch eine Fahrkarte nach Nassau/ Lahn ziehen, und am Automat steht eine junge Frau und betätigt die vielfältigen Informationsbuttons. Auf dem Bahnsteig ein paar Wartende: Ein mitteljunger Mann im Handwerkerdrillich, ein mittelalter Schüler mit Trolleykoffer, eine ältere Dame ins Ratschen vertieft mit einem älteren Herrn. Die junge Frau findet im Automaten, was sie gesucht hat, eine Fahrkarte fällt in den Ausgabeschacht. Die junge Frau sucht nach Informationen zu Anschlussverbindungen.
Als sie denn fertig ist, es ist inzwischen 15:34, kann ich das Fahrkartenausgabe- und Reiseinformationsgerät in weniger als einer Minute überzeugen, mir eine Fahrkarte zum gewünschten Ziel auszudrucken, 31 Euro zu schlucken und eine 10-Cent-Münze zurück zu geben. Mir fällt ein, dass ich in meiner Schultasche, die im geparkten Auto wartet, eine Zugverbindungsinformation vergessen habe, die mir beim Umsteigen in Ehrang und Koblenz von Nutzen sein kann. Es sind noch fünf Minuten bis zur fahrplanmäßigen Abfahrt, ein kalkulierbares Risiko, und ich finde die Blätter auch nach wenigem Suchen.

Im Zurückgehen sehe ich das Plakat „Rheinland-Pfalz-Ticket 23 Euro“ und stelle fest, dass ich für den Zielaufdruck auf der Karte 7,90 Euro bezahlt habe. Ich werde die Karte fortan als wertvolles Souvenir behandeln und mich daran erfreuen. Sie konserviert eine Erfahrung, die ich bei dem schlichten Aufdruck „Rheinland-Pfalz-Ticket 24.01.2014, gültig bis 3 Uhr des folgenden Tages auf allen Linien in Rheinland Pfalz (und dem Saarland)“ in zehn Jahren gewiss nicht als Erinnerung abrufen könnte, zumal ich sie ja garnicht erst aufheben würde.

Um 15:41 senken sich die Schranken an der Erdorfer Hauptstraße, der Zug lässt sich noch ein wenig Zeit, kommt, wir Wartenden steigen ein, haben eine fast freie Sitzplatzwahl, ich setze mich, die ältere Dame vom Bahnsteig betritt den Waggon, sortiert sich, guckt um sich, fragt mich, ob das hier 2. Klasse, sonst müsse sie nämlich woanders, der Zug fährt ab,  ein Schaffner mit Zopf kommt, „Zug'die'ne die Fa'katnbte“, die ältere Dame vom Bahnsteig bestellt eine Fahrkarte nach Ehrang. Schräg hinter dem Schaffner schreit in doppelter Ausfertigung ein Schild, dass hier nur zutreten darf, wer im Besitz eines gültigen Fahrausweises ist, sonst teuer.
Der Schaffner, freundlich, vermittelt ihr das Gleiche in gesprochenem Wort.
Der Antwortton changiert zwischen beflissen, betroffen und ansprucherhaltend: Ja, Nein, Sie habe da, sie wolle jetzt  hier die Fahrkarte nach Ehrang kaufen, ja, der Automat, das ging nicht.
Der Schaffner hakt ein: Der Automat war defekt? -Ja also, der Automat, das ging nicht, wissen Sie (sie hält die Linke hoch, die fest verbunden ist), ich kann ja auch nicht, wissen Sie,...
Der Schaffner weiß nicht.
Das Gespräch mäandert um Pflichten, Unmöglichkeiten, Nachweise, Besuche am Grab der jüngst verstorbenen Tante und schmerzende Beine, die vor Automaten ihren Dienst versagen, um erhöhte Fahrpreise, um 50 Euro und um Ausnahmsweise.
Kurz, man kommt ins Geschäft, und die ältere Dame wird dankbar: Ob es denn jetzt als Bestechung aufgefasst werden könnte, wenn sie dem Schaffner nun als Dankeschön ein Trinkgeld gebe. Der Schaffner überhört das geflissentlich, stellt den Fahrausweis aus, kassiert das im Zug zu zahlende Beförderungsgeld-wegen-defektem-Fahrkartenausgabeautomaten und schickt noch nach, dass er das macht, weil er das machen möchte, und nicht, weil er dafür etwas, und überhaupt, wenn sie dafür etwas und wenn sie mal nach Köln komme, er trinke den Kaffee schwarz.
Da trumpft sie aber auf: Ja nein, das machen wir aber ganz anders, weil, da kommen Sie nämlich den Kaffee trinken in Erdorf, gleich am Bahnhof, da bin ich nämlich Kellnerin, und da mache ich Ihnen dann einen Kaffee, aber Hallo!

Umsteigen in Ehrang.
Fast zwei Stunden Fahrzeit nach Koblenz.

Donnerstag, 6. März 2014

Das Kind...



Hier ein Schmankerl,
das Kind ist schließlich in der Pubertät.

Freitag Mittag, ich komme aus der Schule, wir müssen noch das Auto beladen und dann gen Schweighausen starten.
Das Kind hat- natürlich- den Auftrag, ihre Sachen zu packen.
Also: Kleider, Kulturbeutel, Reitausrüstung.

Nach den üblichen Scharmützeln, die das Beladen des Gefährts vor einer Reise so mit sich bringt, der Vater und ich sind noch am Feintuning (Wo sind die Stirnlampen?  Wo ist das Ladekabel für den Rasierapparat? Hast du die Hundeleinen gesehen, und wenn ja, warum nicht?).

Das Kind steht sich die Füße platt, harrend, und fragt "Kann ich mich schon
mal ins Auto setzen?"
Ich frage, ob sie alles hat.
Das Kind bejaht. Ich frage, ob sie ihre Reitstiefel eingepackt hat.
(Die habe ich nämlich kurz vorher noch vor ihrem Zimmer gesehen.)
Das Kind haucht "Oh" und bewegt sich halb rückwärts zum Haus.
Ich (ein grober Fehler, ich gebe es zu) reibe es ihr ein:
"Wie schön, dass Du alles gepackt hast. Was, wenn ich Dich jetzt nicht
gefragt hätte?"
Das Kind, mit vollem Recht, explodiert noch in meinem ersten Teilsatz:
Sie wollte doch sowieso gerade ins Haus und in ihr Zimmer, und sie hat
die Reitstiefel nicht vergessen, und wie ich so etwas Hundsgemeines von
ihr denken kann und bööööHÖÖÖÖhöööööööö!

Unfair und verbissen, wie Mütter nun mal sind, will ich ebenfalls den Dicksten
haben. Immerhin hatte ich die Stiefel im Flur gesehen. 
Ha, niemals, schon ganz lange hat das Kind sie in ihr Zimmer gestellt, mit all den anderen Sachen, die sie mitnehmen wollte, und wieso bin ich denn so gemein und glaube ihr das nicht.

Nach zwei weiteren, leicht stichelnden Anläufen meinerseits (fiiiiies: "Wieso hast du denn dann gerade gefragt, ob du dich schon mal ins Auto setzen kannst?" - und, noch perfider:
"Wieso hast Du denn dann gerade "Och" gesagt, als ich dich gefragt habe?") schaltet sich mein pädagogisches Über-Ich ein und stopft mir das rechthaberische Maul.

Des Kindes gerechter Zorn raucht noch eine Weile.


Die Autofahrt verläuft im Wesentlichen normal.

Wir kommen in Schweighausen an. Das Kind jubelt, stürmt in ihr Zimmer im Appartement, der Vater und ich wuchten die Kisten und Kasten aus dem Auto.
Ich sehe, dass die Ponyhofchefin Kerstin noch nicht dazu gekommen ist, die Betten zu beziehen und sage: "Kind, du beziehst die Betten. Geh zu Kerstin und lass dir Bettwäsche geben."
Das Kind, von unter Null auf Hunderttausend, giftet ein schrilles "Wieso ICH???".
Der Vater und ich, beide mit Kisten bepackt, gackern herzhaft los.

Wenig später, wir haben die wichtigsten Einräumarbeiten hinter uns, der Vater tüftelt an seinem Laptop und/oder Handy und brummelt "Zu blöd zum Schweinebeißen" (eine Variante seines Lieblingsfluchs "Du bist so blöd, dass dich die Schweine beißen.")
Nochmal: Der Vater also an Handy und Laptop, brummelt: "Zu blöd zum Schweinebeißen."
Mit derselben Verve, demselben Gift und Ingrimm wie kurz zuvor fährt das Kind hoch: "ICH????!!!!????".
Der Vater, staubtrocken am Handy: "Nö, das Ding."

Nach dem üblichen Geplänkel in solchen Fällen (dreimaligem Angebot, sofort wieder alles zu packen und gen Heimat zu reisen, Auslagen gerne gegen Verrechnung mit Taschengeld- die üblichen, durchsichtigen Machtpupser der ruhe- und tapetenwechselbedürftigen Eltern halt) wird es dann ein genial schönes Wochenende, das Kind steht klaglos Stunden und Aberstunden im Stall, kümmert sich um Pferde, Kühe und Kleinreiter, reitet sich selbst den Hintern wund ist abends schlagskaputt mit roten Backen...


Dienstag, 9. Oktober 2012

Pferdemarkt. Ein Nachtrag.

Im Trierischen Volksfreund (das ist sowas wie ein Neues Deutschland der Eifel-Mosel-Region, also eine Alleinvertretungs-Tageszeitung) gab es gestern einen Artikel zum Pferdemarkt. Deutschlehrern möchte man ihn anempfehlen als Lehrwerk: Meinung und Bericht vermischt, ein' Zeitung tut das niemals nicht.
Wortlaut:
"Etwas makaber in diesem Umfeld wirkt der Imbissstand, der Pferdewurst mit Brötchen anbietet."

Dazu stellen sich mir Fragen:
1. Wäre es weniger makaber gewesen, in diesem Umfeld Schweinewurst mit Brötchen anzubieten?
2. Was dachten die Pferde in der Halle darüber, dass direkt neben ihnen Gulasch und Gehacktes angeboten
     wurde?
3. Was, nach Meinung des Schreibers, wird auf derlei Pferdemärkten an Lebendtier zu welchem Zweck
     vermarktet?

Zuckersüß dann die Bildunterschrift zu Ponys und Kinderkulleraugen: "Die ganz kleinen Pferde üben auf die ganz kleinen Besucher eine besondere Anziehungskraft aus."

Jahaa. Das sind die für die ganz kleinen Pferdewürste.

Und dann noch was für die Sprachfreunde unter uns:

Menschen, Tiere, Parkplatznot.
Herbstausgabe des Prümer Pferdemarktes entpuppt sich als Besuchermagnet

Wow.





Sonntag, 7. Oktober 2012

In Eifelnord ist Pferdemarkt...

Dieser Pferdemarkt.
Er geht mir nicht aus dem Kopf. Faszinierend, und ich frage mich wirklich, warum ich nach fast dreizehn Jahren in der Eifel zum ersten Mal auf dem Prümer Pferdemarkt war.
(Gut, sagt der innere Schweinehund, vesöhnlich gestimmt, du hast auch mindestens 13 Jahre gebraucht, bis du freiwillig (und danach nie wieder) auf den Mainzer Rosenmontagszug gegangen bist, also was willst du?)
Damit hätten wir den Unterschied zu Rosenmontag in Mainz schon mal festgehalten:
Nach Prüm auf den Pferdemarkt möchte ich wieder gehen.
Aber nicht der Pferde wegen.
Eher trotzdem.
Da ist Erna mit der Wolle und den Strümpfen, und wenn du sie fragst nach den Strümpfen, dann prägt sie dir ein Qualitätsbewusstsein ein, von dem du nicht hofftest, dass man es haben kann:  
Perlmuster am Käppchen.
Wir kaufen, sofort.
Jetzt kommst du.
Nein.
Nein, nein, nicht, dass es damit ein Bewenden hätte.
Abends, so bei Toresschluss, kommen wir mit Erna nochmal ins Gespräch.
Erna musst du dir vorstellen:
Klein, grau, mit Mehrfachschlösserschuhen über dicken selbstgestrickten Strümpfen, mit Wollrock und buntem Drüber, mit wasserdichter Wollmütze. 
Mit einem Wissen, dass dir der Kopf platzen will beim Zuhören; hier die schlichte Form:
Die Wolle kommt von Ernas Schafen. Ernas Schafe sind alte Rassen.Erna lässt die Wolle spinnen und färben im Allgäu, in Reuthe. Nach der Wende sind Leute zu Erna gekommen, der Könne und Kenne wegen.
Schau dir diese Frau an und kaufe diese Strümpfe.




Gestern auf dem Pferdemarkt


Pferdemarkt in Prüm. Die Marktfrau sagt, das ist normal.

Freitag, 5. Oktober 2012

Servicebiotop 2. Beim Amtsgericht.

Elegie, geschrieben nach dem Versuch, am 5. Oktober persönlich vor Gericht eine schriftliche Willenserklärung abzugeben.

Amtsgericht,
ich glaub es nicht!

Kann doch wohl nicht möglich sein:
Meint tatsächlich ein Verein,
dass er sich verändern kann
in Vorstands- oder Namenssachen
und dass der neue Vorstand dann
mit einem Schreiben, einem flachen,
beim Register-Amtsgericht
ohne Unterschrift besticht,
die von notarieller Hand
als beglaubigt anerkannt???

Amtsgericht,
ich glaub es nicht!

Glaubt denn wirklich solch ein Wesen,
nur, weil selbst es dagewesen
beim Pfleger vom Registerrecht,
dass seine Unterschrift als "echt",
sein Dasein als ein Unterpfand,
vor Recht und Ordnung Glauben fand???

Amtsgericht,
ich glaub es nicht!

Weiß denn keiner mehr der Laien,
dass die Bürger als Lakaien
rechtlich unterworfen sind
ihrem Herren, dem Gesetz
und auch der Verfahrensregel

(die nur zufällig auf "Egel"
endet, einfach reimeswegen)?

Amtsgericht,
ich glaub es nicht!

Oh, was weiß der Rechtsverweser
noch so Böses, was den Leser
ganz gewisslich ebenso
wie den Fachmann selbst erbost:
Gibt es doch der Bürgermeister
viele, welche so koppheister
einfach einen Stempel setzen
neben eine Unterschrift
und damit das Recht verletzen,
denn sie fragten vorher nicht,
welcher Wortlaut, Komma, Strich,
nötig sei, um öffentlich
rechtsverbindlich festzuhalten,
dass die über 18 alten
ihren August-Willem setzten
unter einen Willen, nicht den letzten.






Amtsgericht,
ich glaub es nicht!

Ich kleiner Vorstand schleich' mich nun,
in Zukunft Besseres zu tun,
hab' zwar das Geld nicht für'n Notar,
weiß wohl aber, dass sogar
mit rechtem Stempel, Komma, Strich,
ganz ohne Geld das Amtsgericht
doch einmal anerkennen muss:
Das ist mein Wille, Name, Schluss!



Servicebiotop Deutschland (I)

Das Kind wächst. Es wächst in Schüben. Von einem auf den anderen Tag quellen ihm die Kleider, die gerade noch schlotterten, an den Leib, und eines schönen Tages (turnusmäßig zu Zeiten, wo so gar keine Zeit ist) verkündet es jährlich, dass die Zehen nun aus allen Schuhen herauswollen.
So geschehen vergangene Woche, worauf wir den erstmöglichen Termin zum Schuhkauf ins Auge gefasst haben.

Gestern in Bitburg.
Das Kind und ich sind unterwegs, je ein Paar guter Turnschuhe und ein Paar fester Herbst-Winterschuhe zu kaufen. Ich habe den Geldbeutel gefüllt, man kennt ja die Preise der ordentlichen, passenden Schuhe, die auch dem Geschmack der Tochter und dem Qualitätsanspruch der Mutter genügen.

Erste Station: Das Sport-Fachgeschäft Intersport Lehnen

Dortselbst haben wir vergangenes Jahr das kollossale Glück gehabt, ein Paar Hallenturnschuhe der oberen Mittelklasse, Marke Puma, passend in Größe 38 zum halben Preis zu erstehen. Reduziert von paarundsechzig auf anfangdreißig Euro. Diese Schuhe haben das Kind durchs Sportstundenjahr getragen.
Wir betreten das Geschäft. Ein junger, dynamischer Blonder mit Haarschnitt und Selbstbewusstsein wie der Dingsda von der Angelina Jolie an der Kassentheke würdigt uns eines kurzen Grußes und verharrt.
Wir begeben uns in den ersten Stock.

Dort steht eine blaugewandete Putte mit Porzellanblick und fast platinblondem Pagenschnitt.
Zielstrebig gehe ich mit dem Kind auf das Regal mit den reduzierten Schuhen zu und finde, oh Wunder, das Nachfolgerpaar der Puma-Schuhe, zu gleichen Konditionen wie im Vorjahr.
Reduziert von knappsiebzig auf knappmittedreißig Euro.
Ich nehme die Schuhe und stelle sie vor das Kind hin. Aus einer Mitarbeitern vorbehaltenen Tür tritt eine Frau, führt lautstark ein Gespräch durch den Raum und über uns hinweg, verlässt das Stockwerk. Die Putte kommt entschlossen auf uns zu und erkundigt sich, was wir denn suchen. Kurze Schilderung, ich bitte, dem Kind die Füße zu messen. Das Gesicht nimmt diese Starre zwischen "Weißichnicht" und "WASwilldie?" an.
Ich warte.
Die Putte auch.
Dann ringt sie sich zu Worten durch, deren Botschaft wohl sein soll, dass jetzt akut zufällig leider kein Messgerät da ist (auf ihrer Stirn steht "Wer braucht denn sowas?") und dass wir es mal mit Größe 39 probieren. Sie verschwindet im REDUZIERT-Regal, rumpelt sich durch die Paare und stellt fest, was ich seit zehn Minuten durch eigene Forschung weiß:
Es gibt kein anderes Paar in Größe 39.
Das Kind fragt mit Blick auf die Hallenschläppchen zu 8.99, ob sowas denn nicht auch ginge.
Und sagt, dass die Schuhe vor ihr an den Seiten so drücken. Es kommt zu einem kurzen Mutter-Tochter-Geplänkel, die Putte ist inzwischen im normalen Regal verschwunden und rumpelt dort weiter. Kommt zurück mit etwas in der Hand, das farblich nach Riesen-Marshmallows weiß-pink aussieht und ebenso ungesund wirkt. Das Kind zieht die Schuhe an und freut sich, dass sie an den Seiten nicht drücken. Ich fordere das Kind auf, durch den Raum zu laufen. Auf dem parkettähnlichen Boden machen die Marshmallows einen Höllenlärm. Ein Quietschknirschknarzkreiisch.
Das Kind, reduziert auf die Alternative "den oder den Puma", ist kaufwillig. Ich sehe die Metaebene:
Kein Schuh hier geht auch.
Die Putte verharrt.
Ich versuche es nochmal im Guten. Ob denn andere Paare Größe 39 in besserer Qualität da seien.
Es wird zäh.
Die Putte rumpelt, diesmal deutlicher lauter, durchs Regal.
Nein, auch im Normalpreissegment ist das das einzig vorhandene Paar.
Ein neuer Anlauf: Wann denn wieder andere Modelle reinkommen?
Ein Spanier hätte "mañana" geantwortet.
Sie ist wortreicher, verweist dieses Ereignis aber ebenfalls in ein nebulöses üerntwannwerweißdasschon.
Gut, dann halt diesmal keine Schuhe.
Ich erinnere mich des Kindes Ansinnen: Hallenschläppchen, für's Karate.
Es ist genau ein Paar der weißen Lederschläppchen in Größe 39 vorhanden. Die Kunststoffsohle wellt sich
an der Ferse. Ich bitte die Fachverkäuferin um einen Fachblick.
"Das ist da, wo's zusammengenäht ist", kommt ihr treffsicheres Urteil.
Aha.
Wir haben die Schläppchen dann trotzdem genommen, das Kind meinte, es störe nicht beim Laufen.
Gezahlt wird unten an der Kasse, wo auch BrettPitt noch verharrt. Nach dem Zahlvorgang sagt das Kind noch was von "Springen" und ich erinnere mich, dass sie an einem Springseil Interesse geäußert hatte, so zwei Wochen vorher. Putte und Brett sind im Gespräch. Ich frage, ob sie Springseile haben.
Ja, oben.
Ahja.
Als ich mit dem Kind schon auf der Treppe bin, fällt Brett ein, dass er ohnehin nach oben muss, da kann er ja
auch durchaus zeigen, wo wir die Seile finden.
Pammpamm, dieses Regal, hier sind die Seile.
Ich sehe ein Exemplar mit Holzgriffen, eingepackt. "Ist das Holz?"
Brett greift ein Regal drunter und reicht mir ein Paket: "Ja, das ist Holz, aber wenn, dann schon die hier.
Die Gewichte kann man rausnehmen."
Öffnet die Packung, zieht das Innenleben drei Zentimeter heraus, schließt die Packung wieder und drückt sie mir in die Hand, verschwindet dann hinter der Tür nur für Mitarbeiter.
"16.95€" steht auf der recht schweren Packung, und sowas von Power. Mit Extragewichten in den schweißaufsaugenden Schaumgriffen.
6.95€ steht auf der Packung mit den Holzgriffen. Die nehmen wir dann auch, das Kind will ja hüpfen.

Wir zahlen und suchen das nächste Geschäft aus, das altehrwürdige Schuhhaus Raskob.

Diesmal der Herbst-Winterschuhe wegen.
Ich streife mit Kind durch die Regale, unbehelligt von den beiden Verkäuferinnen, die den Blick gestählter
Museumswächterinnen haben.
Wir haben das übliche Mutter-Tochter-Geplänkel. Das Kind greift sich im Scherz Stöckelschuhe, ich kontere mit dem, was ich unter ordentlich und fest verstehe. Als Kompromiss, mit dem ich unter Umständen noch einverstanden gewesen wäre, einigen wir uns auf die Anprobe einer Art lammfellgefütterter Lederversion der Tuchschuhe, die in des Kindes Alter angesagt sind. Ich wundere mich ein wenig über den Preis, 60 € ist doch sehr günstig für solch ein Paar.
Da, eine der Museumswächterinnen wendet sich zu uns. (Wahrscheinlich, weil die andere inzwischen auch zu tun hat, sie ist einer älteren Kundin zu Hilfe geschlichen.)
Ich bitte, dem Kind die Füße zu vermessen.
Immerhin, das geht. Vermessen wird der linke Fuß. Ich, in der beharrlichen Meinung, zwei Füße müssten nicht zwingend dieselbe Länge haben und wenn, dann sei doch gerne der Rechte schon mal einen Hauch größer, hake nach.
Ein Gefühl, wie in Watte zu schlagen, das Messgerät wird wieder unter die Theke gepackt und mein Einwand ist, als sei er nie gefallen.
In dem Moment beginnt etwas in mir zu fragen, was an dem Bild falsch ist.

Vor meinem geistigen Auge tauchen Schuhfachgeschäfte auf, in denen es Fußbänkchen, Schuhlöffel und Fachverkäufer gab, die mit Händen zupackten, zweite Schuhe herbeiholten, ganze Stapel von Kartons unverdrossen herbeibalancierten, Passgenauigkeit mit kundigem Griff testeten und zum Probelaufen animierten, auf dass nur ja der passende Schuh gefunden werde.
Ein Tagtraum.

Hier die Wirklichkeit: Ich knie zu Füßen meines Kindes, helfe, den Fuß ohne Schuhlöffel in den Schuh zu zwängen und an den Schnürsenkeln herumzuzuppeln. Neben mir, in entspannter Standbein-Spielbein-Haltung, die Fachkraft.
 (Das kurze Ansinnen, mich zu erheben und sie zu tätiger Mithilfe anzuregen, verwerfe ich: So weiß ich dann zumindest, wie der Schuh sich anfühlt, den ich schließlich später auch bezahlen werde.)
Immerhin kann ich sie anregen, zu den beiden in Frage kommenden Paaren den jeweils rechten Schuh aus dem Lager zu holen.

Das Kind findet ein Paar schön und nett. Ich frage die Fachkraft nach dem Material, genauer: "Ist das Obermaterial Leder?"
- Das ist Heitäck.  (Hightech? Hitec?)
- Heitäck???
- °
- Was bitte ist das?
- Heitäck.
- Ja, aber was IST Heitäck?
- Ja, das ist so ein Material. Das ist viel praktischer. Das muss man nicht mehr so putzen.
- Also kein Leder?
- Nein, kein Leder.
- Und das Futter? Was ist das?
- Ja, also das ist auch... also das ist nicht echt (streicht mit dem Daumen über das Kuschelweiß)... das ist so  Web-...so
- Also innen und außen nichts, was atmet???
- Jaa, aber das Heitäck ist ja auch nicht mehr so wie noch vor ein paar Jahren. Da hat sich ja auch schon einiges verändert.
- Aha.

Ich kürze ein wenig ab. Mein Kaufwille war auf unter Null gesunken, da griff die Fachfrau plötzlich zögerlich ins Regal und beförderte ein Paar Lederschuhe mit Lammfellfütterung hervor. Und noch eins.
Plötzlich ging es dann auch mit den zweiten Schuh. Und mit der Assistenz.
Nach kurzem Hin und Her begeistert sich das Kind für ein Paar Schnürschuhe und wir werden handelseinig.



An der Kasse dann der alte Meister Raskob.
"Ein wirklich gutes Paar Schuhe, für das Sie sich entschieden haben."
Ich bestätige und zahle.
Wieder Meister Raskob: "Das ist einfach Qualität. Dieses moderne Zeugs, also ich kann ja nichts damit anfangen. Dieses Haitäck. Ich sag immer: Da kann ich ja gleich Gummistiefel anziehen. Da atmet doch nichts mehr."
Auch hier stimme ich ihm rundweg zu.

Verstehen muss ich's aber nicht, das Gesamtkunstwerk "Fachgeschäft".

P.S. Kommende Woche geht's wieder los- schließlich brauchen wir noch Hallenturnschuhe...